Wer nichts weiß, muss alles glauben. Als Westeuropäer zappeln wir, die wir uns doch meist für umfassend informiert und aufgeklärt halten, auch nur wie hilflose Marionetten an den dünnen, fast unsichtbaren Fäden, die einflussreiche politische und wirtschaftliche Eliten und Medienmacher in den Händen halten.
Gestern sorgte weltweit eine Meldung für blitzartig aufflammende Empörung in den Webmedien und sozialen Netzwerken. Eine hochrangige UN-Vertreterin hatte in einer Videokonferenz verkündet, sunnitische Extremisten der ISIS im Irak hätten in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Genitalverstümmelung aller Frauen befohlen. Etwa vier Millionen Frauen befänden sich somit in Gefahr, diesem grausamen Eingriff unterzogen zu werden. Eine gruselige Vorstellung, zweifellos, dachte ich auch. Nur eben falsch. Die stellvertretende UN-Gesandte im Irak war einer dreisten Falschmeldung aufgesessen, woraufhin man diese ungeprüft mit dem Zorn der Gerechten in die Welt herausposaunt hatte. Nachrichten- und Presseagenturen übernahmen diesen Hoax prompt, woraufhin deutsche Zeitungen, die bekanntlich nicht im Verdacht stehen, westliche Agenturmeldungen einer allzu kritischen Bewertung zu unterziehen, die Meldung unverändert übernahmen. Continue reading Der Kampf um die Köpfe
Archiv für den Monat: Juli 2014
Am Anfang war der Cursor
Am Anfang steht nicht etwa das Wort, auch nicht der Sinn oder die Kraft bzw. Tat, wie Faust einst sinnierte, sondern nur ein penetrant blinkender schwarzer Cursor – ein kurzer senkrechter Strich auf dem Bildschirm, der die Grenze zwischen dem manifestierten Gedanken, dem Geschriebenen und dem Ungewissen markiert.
Manchmal geht der Cursor sogar meinen Gedanken voraus und zieht Zeichen, Buchstaben und Wörter im Kriechgang hinter sich her.
Der Cursor durchpflügt den unerschlossenen Raum der endlosen weißen Seiten, macht das Neuland urbar. Ein guter Text braucht einen starken, flinken Cursor. Er ist ein tapferer Vorreiter, ein ewiger, unermüdlicher Wanderer, der sich unverzagt seinen Weg durch die weiße Hölle der leeren Seiten bahnt…
Wie von Zauberhand verwandeln sich spontan aneinandergereihte Zeicheneingaben in Wörter, die wiederum zu Verben, Substantiven oder Adjektiven und Adverbien mutieren. Und wie von selbst purzelt zuweilen ein Sinn in die getippten Wörter hinein. Ansatzweise zumindest. Schritt für Schritt geht es weiter, bis es gemäß der junckerschen Doktrin kein Zurück mehr gibt. So formieren sich Wörter unter dem unregelmäßigen, militärisch-hart klingenden Klacken meiner schwarzen Tastatur zu Sätzen, zu unfertigen Gedanken, die noch einer Sortierung, kritischen Bewertung und Glättung bedürfen. Lohnt es, das zu schreiben?
Strg+A und Entf: Altbewährte Tastenkombination, Allzweckwaffe gegen Selbstzweifel und effektives Mittel zur Selbstdisziplinierung zugleich, das immer häufiger zum Einsatz kommt, kommen muss.
Guckloch in die Vergangenheit
Nachts, wenn die meisten meiner Mitmenschen den Schlaf der Gerechten schlafen und höchstens noch eingefleischte TV-Junkies oder an nächtliche Computerarbeit gewöhnte Zombies wie ich wach sind, greife ich manchmal zur Fernbedienung und hangele mich durch das Dickicht der ca. 30 bei mir verfügbaren Fernsehkanäle – nur, um mich zu vergewissern, dass ich keine filmischen Sensationen, Katastrophen oder weltbewegenden Geschehnisse verpasse. Regelmäßig bleibe ich dann bei irgendwelchen skurrilen Formaten oder in irgendeiner Hinsicht ungewöhnlichen Sendungen oder Filmen hängen, z. B. bei den etwas bizarr anmutenden filmischen Interviews eines gewissen Alexander Kluge. Eigentlich schalte ich aber nur ein, um abzuschalten. Bekanntlich ist das TV-Nachtprogramm meist von durchwachsener Qualität. Auf nächtlichen Sendeplätzen werden zuweilen recht gute, künstlerisch wertvolle oder systemkritische Sendungen oder Filme versteckt, die keine Quote bringen oder die man nach Ansicht der Programmchefs der Mehrheit des Zuschauervolks nicht zumuten kann. Meist wird aber lediglich preiswert produziertes lückenfüllendes Sendematerial ausgestrahlt. Bei vielen dieser Sendungen handelt es sich um eine Art bewegtes Testbild. So manchen Senderverantwortlichen scheint es vor ziemliche Herausforderungen zu stellen, Tag für Tag ein 24-stündiges Vollprogramm bieten und die Sendezeit auf sinnvolle Weise füllen zu müssen. Continue reading Guckloch in die Vergangenheit
Merkels Macht
Angela Merkel wird oft in einem Zusatz als mächtigste Frau Europas oder gar der Welt bezeichnet. Man nimmt es nicht mehr bewusst wahr, denn es hat sich bereits fest in unsere Hirne eingebrannt, so wie ein glühender Metallstempel in eine wächserne Matrize eindringt. Butterweich, denn hört man es nicht gern? Sprechern und Moderatoren des Staatsrundfunks geht diese abgedroschene Floskel glatt und ohne Stocken von den Lippen. Daher ist anzunehmen, dass diese Sprachregelung mit Angela Merkels Entourage abgestimmt ist. Anfangs hab ich es noch mit Staunen, später mit einem Kopfschütteln quittiert. Jetzt reicht es meist nicht mal mehr zu einem resignierten Schulterzucken, wenn ich höre, dass die deutsche Kanzlerin, unbestritten eine tüchtige Parteifunktionärin und gewiefte Taktikerin, von Radio- oder TV-Heinis im ernsten, staatstragenden Ton als mächtigste Frau der Welt oder Europas tituliert wird. Continue reading Merkels Macht
Zur Konsequenzfrage
Inklusion gelinge, wenn sie nur konsequent umgesetzt werde, schreibt eine Kommentatorin heute im „Spiegel“.
Konsequent heißt demnach also: Augen zu und durch, ohne Rücksicht auf die Betroffenen (Behinderte, Nichtbehinderte, Lehrer, Eltern), ungeachtet aller Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Praxis, ohne Rücksicht auf personelle Gegebenheiten oder finanzielle Restriktionen.
Mit Konsequenz lassen sich zweifellos viele Hürden der Realität überwinden. Zumindest zeitweise. Und doch ist Konsequenz allzu oft nur die letzte Zuflucht, die letzte Tugend des Uneinsichtigen und deshalb Scheiternden. Auch der Sozialismus hätte wahrscheinlich bei konsequenter Umsetzung gelingen können. Man hätte den lichten Weg zum Kommunismus nur entschlossen und unbeirrbar, ergo konsequent weiterbeschreiten müssen. Hierzu hätte es allerdings einer noch konsequenteren Umsetzung bedurft, nämlich einer wirksamen Umerziehung der Bevölkerung, die noch konsequenter, radikaler und totaler hätte sein müssen, als von Mao und Stalin durchgesetzt.
Die von Seiten irrer Ideologen geäußerte Androhung einer „konsequenten Umsetzung“ unausgegorener und/oder wirrer Ideen (vgl. auch Energiewende, Euro-Rettung oder Gender-Ideologie) sollte daher in postdemokratischen Zeiten besser als Kriegserklärung an die Zivilgesellschaft aufgefasst werden.
Wege aus der Krise – neue Wachstumsdynamik
Mit altbewährten Mitteln lässt sich wirtschaftliches Wachstum nicht mehr generieren, sofern man den Zusammenbruch des Finanzsystems mit folgendem Neuanfang vermeiden möchte. Die Zinsen haben den Nullpunkt fast erreicht. Die meisten Staaten sind trotzdem hoffnungslos überschuldet. Verzweifelte Notenbanker pumpen hektisch Geldblasen auf. Alles sinnlos, da die reale Wirtschaft mangels lohnenswerter Investitionschancen und/oder fehlender Sicherheiten hiervon nicht profitieren kann. Die Kreditvergabe stockt. Das Einzige, was funktioniert, sind Spekulationen mit billigem Kreditgeld, um noch mehr Geld aus dem Nichts zu generieren. Davon hat natürlich der normale Unternehmer oder Bürger wiederum auch nichts, außer dass irgendwann der inflationäre Knall droht. Die Märkte sind nun derart ge- und übersättigt, dass große Investoren und Venture-Capital-Fonds (abgesehen von gehypten Web-, Social Media- und Sharing Economy-Startups) keine lukrativen Anlagemöglichkeiten in der Wirtschaft mehr sehen. Der in Deutschland beschrittene Weg, durch Subventionierung erneuerbarer Energien einen künstlichen Boom zu entfachen, hat erkennbar in die Sackgasse geführt. Die Verbraucher rebellieren angesichts der hohen Energiepreise. Andere Länder wollen und können es sich nicht leisten, den deutschen Weg der selbstzerstörerischen Überförderung ineffizienter Technologien zu Lasten der heimischen Verbraucher ebenfalls zu beschreiten.
Ein weiterer Krieg ist auch (noch) nicht in Sicht. Zum Glück muss man sagen. Will natürlich niemand. Kreative Zerstörung, vielleicht mittels bewaffneter Drohnen und anschließende Wiederaufforstung, Wiederaufbau und Neubesiedelung des solcherart befreiten Territoriums würde zwar für die nötige Wachstumsdynamik sorgen, wäre allerdings eine inhumane und wegen drohender Selbstvernichtung für die Eliten auch riskante Verfahrensweise. Es bleiben somit nicht viele Möglichkeiten, um die Wirtschaft anzukurbeln.
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Sharing Economy als Zeichen des Niedergangs?
Die Ökonomisierung des Privaten, wie sie in vielen Geschäftsmodellen der Sharing Economy zum Ausdruck kommt, zeugt nicht vom Aufbruch, sondern vom Verfall der westlichen Wirtschafts- und Sozialsysteme. Es gleicht dem Zünden der letzten Triebwerksstufe einer fehlgeleiteten Rakete, bevor diese in der höheren Stratosphäre verglüht.
Der Aufstieg vieler Startups, die als neue Ikonen der Sharing Economy gefeiert werden, wird m. E. letztlich nur dazu beitragen, die Erosion oder Atomisierung herkömmlicher Beschäftigungs- und Erwerbsverhältnisse zu beschleunigen. Nehmen wir nur zwei der bekanntesten „Rising Stars“ der Szene: „Uber“ und „Airbnb“ – erstgenanntes Startup ist eine Vermittlung für unlizenzierte Privattaxidienste, das zweitgenannte ist eine Vermittlungsplattform für private Unterkunftsvermietungen. Beide Unternehmen sind äußerst erfolgreich beim Einwerben von Kapital und Nutzern:
Airbnb ist bereits weltweit wirtschaftlich erfolgreich, während sich Google eine maßgebliche Kapitalbeteiligung an „Uber“ gesichert hat.
„Uber“ lässt seine Nutzer über eine Online-Plattform Privattaxidienste anbieten, und „Airbnb“ ist eine private Unterkunftsvermittlung, die in direkter Konkurrenz zu Hotels und Pensionen der unteren und mittleren Preisklasse steht.
Beide Unternehmen machen Tausende Nutzer zu privaten Teilzeitchauffeuren und ‑vermietern, die in Branchen wildern, welche sich nun einem direkten Wettbewerb mit dem Privatsektor ausgesetzt sehen. Qualifizierte Taxifahrer und Hotels verlieren geschäftsmäßige Umsätze und Einkünfte, während sich Privatanbieter ein gelegentliches Taschengeld hinzuverdienen. Kurioserweise sind die Preise, die über Airbnb und Uber aufgerufen werden, gar nicht so niedrig wie man vermuten könnte, denn eine satte Vermittlungsprovision geht an den Betreiber der App, in diesem Falle ein US-Unternehmen. Unnötig zu erwähnen, dass global agierende US-Unternehmen Mittel und Wege finden, um ihre Einnahmen dem Zugriff des deutschen Steuerregimes zu entziehen. Continue reading Sharing Economy als Zeichen des Niedergangs?
Gedankenabfall betr. Kapitalismuskritik
Neulich las ich einen Artikel, in dem beklagt wurde, dass der Kapitalismus alles verwerten würde, selbst die Kritik und die Symbole seiner ärgsten Feinde, z. B. Name und Konterfei von Che Guevara. Er sauge sie einfach in sich auf, verwurste sie und spucke sie als kommerzielle Produkte wieder aus (Telepolis: Mit einer Tasse Kaffee die Welt retten).
Zugegeben, mir selbst waren auch schon ähnliche Gedanken gekommen, allerdings hätte ich da nie ein moralisches Problem mit verknüpft. Warum auch? Sowohl Kapitalist als auch Sozialist oder Kapitalismuskritiker bleiben immer auch Teil desselben Systems, dem sie genauso wenig entfliehen können wie zwei unverträgliche Fische, die im selben Aquarium herumschwimmen (sofern nicht einer der Fische vor Stress aus dem Becken springt). Ein Kritiker und Feind des Systems wird also genauso durch den Fleischwolf der wirtschaftlichen Verwertungskette gedreht werden, wie beispielsweise irgendwelche Schwachmaten, die ihre 15 Minuten Ruhm bei RTL2 genießen. Continue reading Gedankenabfall betr. Kapitalismuskritik