Zur Frage der Revolutionen

Früher habe ich mich immer gefragt, warum sich Millionen Arbeitslose nicht einfach zusammenschließen und ihre eigene Partei gründen oder ihre Machthaber und Konzernbosse zum Teufel jagen bzw. (ganz früher) einfach in den Osten, in die DDR rüberkommen, wo es ja bekanntlich genug Arbeit gab, vereinfacht gesagt. Nun ja, ich war damals noch sehr jung und naiv, naiver als heute jedenfalls; dies mag vielleicht als Entschuldigung herhalten.

Ich bin ein Anhänger der These, dass heutzutage im Westen keine „Revolutionen“ mehr vorstellbar sind. Revolution ist vielleicht auch der falsche Oberbegriff, oft m. E. auch missbräuchlich verwendet, etwa im Falle der sogenannten „friedlichen Revolution“. Generell denke ich, dass grundlegende systemische Umwälzungen hier und jetzt nicht mehr realisierbar sind, solange die systemerhaltende Macht stärker und effektiver organisiert ist als die zersplitterten Gegenkräfte, die es in der Gesellschaft durchaus geben mag und die einen Systemwechsel anstreben. Zur Bewahrung eines laufenden Systems ist weniger Kraft vonnöten als für den Umsturz desselben, es sei denn, das System kollabiert von allein, von innen heraus.
Es ist somit leichter, ein faulendes, fast schon neofeudales System am Leben zu halten, wenn die herrschende Oberschicht z. B. durch Einsatz finanzieller oder rechtlicher Mittel jeden Widerstand problemlos neutralisieren kann, zumal die Mittel zum Machterhalt, wie wir wissen, nicht unbedingt repressiver Natur sein müssen, sondern auch ködernd und verlockend wirken können. Solange genügend Zuckerbrot verfügbar ist, bedarf es der Peitsche gar nicht, so dass kein offener Widerstand provoziert wird. Negative Veränderungen werden langsam und stufenweise durchgesetzt, so dass sich die Bürger an den Niedergang und die immer härteren Lebensumstände allmählich gewöhnen können. Das Schüren von Neid ist ebenfalls hilfreich (aus Sicht der Regierenden). Ventile zum Dampfablassen, d. h. zur Frustbewältigung stehen auch zur Verfügung (z. B. Satiresendungen, Foren im Internet, Psychiater). Weiterlesen

Network

Was die Attraktivität sozialer Netzwerke ausmacht, ist sicher die Möglichkeit, sich auf recht bequeme Weise zu vernetzen und auch zu entfernten Freunden oder Bekannten einen – wenn auch losen – Kontakt über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Letztlich sind das oft solche Kontakte, die man früher ohne E-Mail und Internet gar nicht erst geknüpft oder nicht auf Dauer bewahrt hätte, da man sich eben ohne entsprechende Bemühungen zur Kontaktpflege in der realen Welt im Laufe des Lebens aus den Augen verliert. Leute, denen man früher begegnet ist und mit denen man Visitenkarten oder Telefonnummern ausgetauscht hat, die sind damals allmählich aus dem Blickfeld verschwunden, wurden vergessen; man selbst wurde natürlich auch vergessen… Weiterlesen

Thomas Magnum – Wegbereiter der Share Economy

Ihr kennt bestimmt noch die TV-Serie „Magnum“ mit Tom Selleck, die in den 80ern über die Bildschirme flackerte? Na klar, kennt jeder. Läuft ja auch noch ab und zu in x-ter Wiederholung auf irgendeinem Kanal. Das war damals im frühen Jugendalter eine meiner Lieblingsserien, wenn ich denn überhaupt eine Lieblingsserie hatte, da ich eh nur selten und dann auch nur heimlich Westfernsehen schauen konnte… Vielleicht waren es die coolen Darsteller, diese ferne exotische Szenerie in Hawaii, die Erzählweise, der Humor, die Running Gags mit Higgins und nicht zuletzt der rote Ferrari – all dies brachte etwas Farbe in meine trübe Kindheit. Obwohl das mit der Farbe schon wieder nicht ganz stimmt, denn ich konnte nur schwarz-weiß sehen; wir hatten ja erst viel später einen Farbfernseher… Aber ich sollte nicht wieder abschweifen. Worauf ich hinauswill oder was vielleicht noch niemandem von euch aufgefallen ist: Ohne sich dessen bewusst zu sein, waren die Macher dieser vortrefflichen Serie wahrhafte Visionäre. Sie haben nämlich die erste Ikone der Share Economy hervorgebracht und geformt.

Denn in Gestalt des stets klammen, aber sympathischen und schlagfertigen Privatschnüfflers Thomas Magnum erkennt man heute unschwer einen Pionier der Sharing Economy-Bewegung: „Teilen statt Haben“ bzw. „Besitzen ist out, Teilen ist in“ – so in etwa lauten bekanntlich die Schlachtrufe und Leitmotive eines seit einiger Zeit von medialen Begeisterungsstürmen begleiteten wirtschaftlichen Trends. Weiterlesen

Blogs

Ich schnüffele in letzter Zeit oft in fremden privaten Blogs. Schnüffeln ist natürlich nicht der richtige Ausdruck. Schnüffeln geht gar nicht! Ich fange besser nochmal neu an: Manchmal, meist abends, durchstöbere ich den gesamten Blogindex. Ich fange im alphanumerischen Verzeichnis immer ganz hinten an und arbeite mich nach vorn durch. Ohnehin schon stark frequentierte und kommerzielle Blogs (z. B. Produkttestblogs o. ä.) lasse ich links liegen. Nur mauerblümchenartig im Schatten gedeihende private Blogs von echten Menschen mit eigenen Gedanken sind für mich dann interessant. Da bleiben gar nicht so viele übrig, wie man denken mag. Ich komme aber meist eh nicht bis zum Anfang der Liste. Weiterlesen

Der Kampf um die Köpfe

Wer nichts weiß, muss alles glauben. Als Westeuropäer zappeln wir, die wir uns doch meist für umfassend informiert und aufgeklärt halten, auch nur wie hilflose Marionetten an den dünnen, fast unsichtbaren Fäden, die einflussreiche politische und wirtschaftliche Eliten und Medienmacher in den Händen halten.
Gestern sorgte weltweit eine Meldung für blitzartig aufflammende Empörung in den Webmedien und sozialen Netzwerken. Eine hochrangige UN-Vertreterin hatte in einer Videokonferenz verkündet, sunnitische Extremisten der ISIS im Irak hätten in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Genitalverstümmelung aller Frauen befohlen. Etwa vier Millionen Frauen befänden sich somit in Gefahr, diesem grausamen Eingriff unterzogen zu werden. Eine gruselige Vorstellung, zweifellos, dachte ich auch. Nur eben falsch. Die stellvertretende UN-Gesandte im Irak war einer dreisten Falschmeldung aufgesessen, woraufhin man diese ungeprüft mit dem Zorn der Gerechten in die Welt herausposaunt hatte. Nachrichten- und Presseagenturen übernahmen diesen Hoax prompt, woraufhin deutsche Zeitungen, die bekanntlich nicht im Verdacht stehen, westliche Agenturmeldungen einer allzu kritischen Bewertung zu unterziehen, die Meldung unverändert übernahmen.
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Guckloch in die Vergangenheit

Nachts, wenn die meisten meiner Mitmenschen den Schlaf der Gerechten schlafen und höchstens noch eingefleischte TV-Junkies oder an nächtliche Computerarbeit gewöhnte Zombies wie ich wach sind, greife ich manchmal zur Fernbedienung und hangele mich durch das Dickicht der ca. 30 bei mir verfügbaren Fernsehkanäle – nur, um mich zu vergewissern, dass ich keine filmischen Sensationen, Katastrophen oder weltbewegenden Geschehnisse verpasse. Regelmäßig bleibe ich dann bei irgendwelchen skurrilen Formaten oder in irgendeiner Hinsicht ungewöhnlichen Sendungen oder Filmen hängen, z. B. bei den etwas bizarr anmutenden filmischen Interviews eines gewissen Alexander Kluge. Eigentlich schalte ich aber nur ein, um abzuschalten. Bekanntlich ist das TV-Nachtprogramm meist von durchwachsener Qualität. Auf nächtlichen Sendeplätzen werden zuweilen recht gute, künstlerisch wertvolle oder systemkritische Sendungen oder Filme versteckt, die keine Quote bringen oder die man nach Ansicht der Programmchefs der Mehrheit des Zuschauervolks nicht zumuten kann. Meist wird aber lediglich preiswert produziertes lückenfüllendes Sendematerial ausgestrahlt. Bei vielen dieser Sendungen handelt es sich um eine Art bewegtes Testbild. So manchen Senderverantwortlichen scheint es vor ziemliche Herausforderungen zu stellen, Tag für Tag ein 24-stündiges Vollprogramm bieten und die Sendezeit auf sinnvolle Weise füllen zu müssen. Weiterlesen

Bruch

Polizeikommissar Ingo Kotschmarski, 43, ledig, Besoldungsgruppe A9, war heute nicht in Stimmung. Sogar ziemlich gefrustet war er, obwohl er doch, wie er zugeben musste, im Großen und Ganzen mit seinem Leben hätte zufrieden sein können. Zumindest bis zum heutigen Tag. Nun gut, der Schichtdienst war anstrengend und nervenaufreibend. Auch nach etlichen Dienstjahren litt er noch unter einem ständigen Schlafdefizit, die Ausrüstung war mies, und seine Vorgesetzten waren auch nicht immer einfach zu nehmen. Aber all dies gehörte eben zum Alltag eines Berliner Polizeibeamten. Und er hielt sich schließlich für einen guten Polizisten. Klar, es gab da auch noch einige andere Dinge in seinem Leben, die aus dem Ruder gelaufen waren, Beziehungskisten zum Beispiel, aber daran wollte er jetzt keinen Gedanken verschwenden. „Scheiß drauf“, sagte sich der stämmige Polizist, der in lässiger Haltung neben dem stark abgenutzt wirkenden Einsatzwagen verharrte – einem silbernen VW Passat mit blauer Folienbeklebung, auf dessen Dach ein Blaulicht nervös flackerte. Das blaue Licht war so grell, dass der vor ihm auf dem Boden kauernde junge Mann die Augen leicht zukneifen musste, um nicht geblendet zu werden.

Blaulicht

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Wachsam bleiben

Der unrasierte, mürrisch dreinblickende Mann in den Dreißigern, der soeben mit einer unter den Arm geklemmten schwarzen Aktentasche aus Kunstleder aus dem Hauseingang trat, sah auf den ersten Blick relativ harmlos aus. Ein Proll, wie die meisten, die in diesem Berliner Kiez ihr trauriges Dasein fristeten. Ein Normalo. „Aber was heißt schon normal in diesen turbulenten Zeiten“, dachte Hannes und nahm zur Sicherheit mit seinem Smartphone schnell ein Foto von dem Typen auf. Der Schnappschuss sollte für alle Fälle in der Datenbank gespeichert und mit der Adresse des Mannes katalogisiert werden, so war es in der Gruppe abgesprochen. Man konnte schließlich nie wissen, ob eine Person künftig mal auffällig wurde.

Als er von der letzten Stufe des Hauseingangs auf den Gehweg mit den alten brüchigen Pflastersteinen trat, drehte sich der Mann, der seinen „Paparazzo“ nicht bemerkt hatte, noch einmal kurz um, richtete einen schnellen prüfenden Blick auf die nun geschlossene Tür des Mehrfamilienhauses und ging festen Schrittes die paar Meter bis zu seinem Wagen, einem älteren blauen VW Golf III mit schwarzem Kotflügel. Es handelte sich offenbar um einen notdürftig instand gesetzten Unfallwagen mit einigen Kratzern und Beulen, bei dem man sich nicht mal mehr die Mühe gemacht hatte, ein farblich passendes Teil vom nächstgelegenen Schrottplatz zu beschaffen oder den Kotflügel nachträglich blau zu lackieren. Am Fahrzeug war ein Berliner Nummernschild mit einer unverdächtigen Buchstaben- und Zahlenkombination angebracht. Nein, dieser Mann sah wirklich nur harmlos aus; gewöhnlicher Durchschnitt: kurzes, aber nicht zu kurz geschnittenes dunkles Haar, leicht abgewetzte Blue Jeans, neonfarbene Laufschuhe einer nicht erkennbaren Marke und ein schwarzes Lederblouson, das schon mal bessere Tage gesehen hatte. Für ein ungeschultes Auge kam der Typ so unauffällig daher, dass man ihn in einer Großstadt wie Berlin im Vorbeigehen normalerweise nicht wahrgenommen hätte. Keine besonderen Merkmale. Ein Niemand, einer von denen, die in den östlichen Stadtbezirken zu Tausenden in ihren kleinen Mietwohnungen mit weißer Raufasertapete und billigem Laminat hockten, in ihren existenzsichernden Behausungen mit oder ohne Balkon. Andererseits wussten sich solche Spießbürger meist gut zu tarnen und ihre wahre Gesinnung zu verbergen, dachte Hannes, der junge Mann mit dichtem Vollbart, der ein schwarzes Kapuzenshirt mit dem bekannten stilisierten roten Konterfei von Che Guevara trug und sich gegenüber dem Hauseingang, auf der anderen Straßenseite hinter einem dichten Rhododendronstrauch postiert hatte. „Das reaktionäre Bürgertum passt sich an. Die halten sich im Hintergrund, lesen die Bild-Zeitung, gehen ihrer stumpfsinnigen Arbeit nach und haben vielleicht sogar eine Familie. Denken vielleicht noch, sie kommen damit durch.“ Weiterlesen