Die Ökonomisierung des Privaten, wie sie in vielen Geschäftsmodellen der Sharing Economy zum Ausdruck kommt, zeugt nicht vom Aufbruch, sondern vom Verfall der westlichen Wirtschafts- und Sozialsysteme. Es gleicht dem Zünden der letzten Triebwerksstufe einer fehlgeleiteten Rakete, bevor diese in der höheren Stratosphäre verglüht.
Der Aufstieg vieler Startups, die als neue Ikonen der Sharing Economy gefeiert werden, wird m. E. letztlich nur dazu beitragen, die Erosion oder Atomisierung herkömmlicher Beschäftigungs- und Erwerbsverhältnisse zu beschleunigen. Nehmen wir nur zwei der bekanntesten „Rising Stars“ der Szene: „Uber“ und „Airbnb“ – erstgenanntes Startup ist eine Vermittlung für unlizenzierte Privattaxidienste, das zweitgenannte ist eine Vermittlungsplattform für private Unterkunftsvermietungen. Beide Unternehmen sind äußerst erfolgreich beim Einwerben von Kapital und Nutzern:
Airbnb ist bereits weltweit wirtschaftlich erfolgreich, während sich Google eine maßgebliche Kapitalbeteiligung an „Uber“ gesichert hat.
„Uber“ lässt seine Nutzer über eine Online-Plattform Privattaxidienste anbieten, und „Airbnb“ ist eine private Unterkunftsvermittlung, die in direkter Konkurrenz zu Hotels und Pensionen der unteren und mittleren Preisklasse steht.
Beide Unternehmen machen Tausende Nutzer zu privaten Teilzeitchauffeuren und ‑vermietern, die in Branchen wildern, welche sich nun einem direkten Wettbewerb mit dem Privatsektor ausgesetzt sehen. Qualifizierte Taxifahrer und Hotels verlieren geschäftsmäßige Umsätze und Einkünfte, während sich Privatanbieter ein gelegentliches Taschengeld hinzuverdienen. Kurioserweise sind die Preise, die über Airbnb und Uber aufgerufen werden, gar nicht so niedrig wie man vermuten könnte, denn eine satte Vermittlungsprovision geht an den Betreiber der App, in diesem Falle ein US-Unternehmen. Unnötig zu erwähnen, dass global agierende US-Unternehmen Mittel und Wege finden, um ihre Einnahmen dem Zugriff des deutschen Steuerregimes zu entziehen.
Damit setzt sich allerdings nur eine Entwicklung fort, die bereits vor Jahren begonnen hat. Da die Wirtschaft in allen westlichen Industrieländern auf normalem Wege nur noch in homöopathischen Größenordnungen wachsen kann (und der Staatssektor bereits bis zum Bersten aufgebläht ist), versucht man neues Wachstumspotenzial durch eine „Ausweichreaktion“ zu erschließen: indem man erstens private Freundschafts-, Nachbarschafts- und Gefälligkeitsleistungen (Couchsurfing, soziale Kontakte, kleine Verrichtungen) auf eine kommerziell nutzbare Grundlage stellt und danach die Kannibalisierung ungeschützter Markt- und Branchenbereiche vorantreibt: Privattaxen verdrängen reguläre Taxis, in Handwerker- und Putzfrauenportalen unterbieten sich verzweifelte Leistungserbringer gegenseitig, um mies bezahlte Tagelöhnerjobs zu ergattern; in Freiberuflerportalen werden die Honorare der Service Provider in einem gnadenlosen Preiswettbewerb gedrückt. Von all diesen preisorientierten Vergleichs- oder Vermittlerplattformen profitieren auf lange Sicht vor allem die Betreiber, die der Sharing Economy zugeordnet werden können und wie Pilze aus dem Boden schießen. Es entwickelt sich eine reine provisionsbasierte Vermittlungsökonomie, in der die Qualität der Dienstleistungen leidet (und für die Betreiber von sekundärer Bedeutung ist). Daher werden letztlich auch die Endkunden zu den Verlierern gehören, die leicht geringere Preise mit Qualitäts- und Sicherheitseinbußen bezahlen. Als weiterer Nachteil wären höhere Steuern und Sozialabgaben infolge des Verlusts regulärer Arbeitsplätze zugunsten der privaten Anbieter-Community anzuführen.
Das Geschäftsmodell dieser neuen Vermittler basiert somit einerseits auf der Monetarisierung und Vereinnahmung trivialer Leistungen, die bislang als rein private Gefälligkeiten bzw. Nachbarschaftshilfen oder im informellen Sektor erbracht wurden, und andererseits – und das ist der neue Aspekt, den „Uber“ ins Spiel bringt – auf der „Entprofessionalisierung“ einst professioneller Dienstleistungen und deren Übernahme in den vermittlungsabhängigen Privatsektor, wobei jener Vermittler wie eine Spinne im Netz sitzt und von den Leistungserbringern und/oder den Kunden eine anfangs geringe, dann tendenziell steigende Vermittlungsprovision abkassieren kann.
Diese ultimative Ökonomisierung, die nun tatsächlich in alle Lebensbereiche bis in die letzten Winkel der Privatsphäre (Meal-Sharing, Toilet-Sharing oder die flächendeckende „Bordellisierung“ Deutschlands) vordringt, kündet daher meines Erachtens nicht vom Triumph eines gnadenlosen Raubtierkapitalismus, sondern eher vom Niedergang der sozialen Marktwirtschaft. Letztlich wird – vielleicht paradoxerweise oder auch nicht – gerade die allumfassende kommerzielle Verwertung aller Aspekte des menschlichen Daseins den Zerfall des europäischen Wohlfahrtskapitalismus beschleunigen.